Mit Corona zu Weihnachten in die Kirche
Es gibt Auflagen. In der Theorie. Ich versuche gerade, es mir in der Praxis vorzustellen.
Zunächst versammelt sich die Gemeinde auf dem Kirchplatz und hält dort mit Mühe 1,5 Meter Sicherheitsabstand. Diesmal gibt es halt nicht so viele Plätze in der ersten Reihe. Wer ganz vorne beim Pfarrer sitzen will, der muss eben rechtzeitig da sein und schniefend in der Kälte warten, bis aufgeschlossen wird. Danach drängeln sich alle durch den Flaschenhals des Kirchenportals, wobei mit Rückstau zu rechnen ist, weil sich jeder erst einmal die Hände im Weihwasserbecken waschen und danach, per Kniefall, den Gesslerhut im Tabernakel begrüßen muss.
Selbstverständlich ist die Eintragung in eine Anwesenheitsliste verpflichtend, denn wie wir bereits bei der Corona-Warn-App gelernt haben, kommt es bei Covid-19 auf die Kontaktverfolgung an. Die Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten ist wichtig, wichtiger sogar noch als die Vermeidung von vermeidbaren Ansteckungen. Wir leben immerhin in Deutschland, da muss alles seine Ordnung haben.
Während sich die Gemeinde also durch die Tür drängelt, drängeln sich zeitgleich Pfarrer, Küster und eine Schar Messdiener in der Sakristei. Unter Einhaltung strengster Hygieneauflagen wird dort im engstem Kreise…
- sich gegenseitig beim kostümieren geholfen.
- Wein umgefüllt und eine handvoll Backoblaten auf Teller gelegt.
- der weitere Ablauf besprochen.
Es folgt der Einzug in den Alterraum, wobei die Prozession einmal die Bänke mit dem Weihrauchfass umrundet. Dem wissenschaftlich Interessiertem wird an dieser Stelle vermutlich auffallen, das Rauch und Aerosole sich relativ ähnlich verhalten (um nicht zu sagen: Rauch ist ein Aerosol). Das besinnliche Schnuppern von Räucherwerk bedeutet natürlich auch das Einatmen anderer Schwebeteilchen, wie z.B. etwaig vorhandener Viruspartikel. Glücklicherweise ist in Kirchen eher nicht mit plötzlichem Aufkommen von wissenschaftlichen Gedanken oder zumindest gesundem Menschenverstand zu rechnen.
Gesungen werden darf dieses Jahr zwar nicht, aber von lautem Beten hat niemand etwas gesagt. Glaubensbekenntnis, Vater unser, sowie die Antworten auf diverse Zurufe des Priesters bieten ausreichend Gelegenheit, den eigenen Lungeninhalt großzügig mit dem Rest der Gemeinde zu teilen.
Mit der heiligen Kommunion steuert die Veranstaltung dann auf ihren Höhepunkt zu. Zur Erinnerung: während Restaurants Essen derzeit nur zum Mitnehmen anbieten dürfen, ist der Verzehr vor Ort in der Kirche nicht nur möglich, sondern sogar erforderlich. Das “Brot” wandert hierbei von der Hand des Priesters über die Hand des Gläubigen, dieselbe Hand übrigens, die zuvor kommunal im Weihwasserbecken gewaschen wurde, in dessen Mund. Diverse Designentscheidungen des Allmächtigen machen hierbei die Unterschreitung des Mindestabstands bei gleichzeitigem Absetzens des Mund-/Nasenschutzes erforderlich.
Zum Schluss geht dann noch ein Körbchen von Hand zu Hand, während der Pfarrer hinterm Ambo mit ernster Miene erklärt, dass die weihnachtliche Kollekte diesmal als Corona Hilfe für notleidende Familien bestimmt ist.