Anruf von 08562321547, Microsoft Support, Triftern
Nanu, ist München jetzt doch wieder zu teuer geworden?
Na wenn das kein Timing ist, gerade nach Hause gekommen und schon klingelt das Telefon. Komische Vorwahl, Triftern. Aus der Ecke kenne ich keinen.
Hallo
Stille
Hallooo?
Knacken in der Leitung
Aha, Callcenter Anruf. Die Sorte bei der ein Computer automatisch Nummern wählt und erst dann zu einem Agenten durchstellt, wenn er eine menschliche Stimme erkennt.
Es meldet sich ein Mitarbeiter vom Microsoft Support, der in schlechtem Englisch, dafür aber mit umso besserem indischem Akzent wissen möchte, ob ich ihn verstehen kann. Keine leichte Aufgabe, übrigens, selbst wenn die Leitung rauschfrei wäre und man im Hintergrund nicht ein halbes Dutzend seiner Kollegen hören würde. Aber hey, Windows ist Rotz, warum sollte der Support besser sein?
Ja, ich kann Sie verstehen.
Ich meine klar, ich weiß worauf das hinaus läuft und dass ich natürlich nicht mit dem Microsoft Support rede, aber was tut man nicht alles, um seinen Mitmenschen wenigstens ein klein bisschen Freude zu bereiten?
Der Microsoft Inder, nennen wir ihn aus Datenschutzgründen einfach mal Arschloch A ist offensichtlich erfreut. Vermutlich bin ich heute der Erste auf seiner Liste, der nicht sofort genervt auflegt oder ihn wüst beschimpft. Also beeilt er sich mir zu erklären dass mein Computer sich bei Microsoft gemeldet hat, weil ich Dateien aus dem Internet herunterladen habe, die ihn zerstören würden. Diese Dateien möchte er nun für mich löschen. Gratis, versteht sich.
Oh das hört sich aber schlimm an, wie werde ich diese Dateien denn jetzt wieder los?
Mein Computer hat also einen Virus, na großartig! Da gibt es nur dummerweise zwei kleine Probleme, von denen er nichts weiß. Das erste wäre dass auf meinem PC überhaupt kein Windows läuft und er mir somit eine faustdicke Lüge aufgetischt hat. Das zweite hängt gerahmt an meiner Wand und weißt mich als Dipl.-Ing. in technischer Informatik aus. Ich hab in meinem Leben schon mehr über Computer wieder vergessen, als er jemals wissen wird. Höflicherweise könnte ich jetzt darauf hinweisen und das Gespräch damit beenden, aber ich glaube, der Zug ist abgefahren. Arschloch A führt Böses Blödes im Schilde und ich habe gerade Langeweile. Solange er mit mir beschäftigt ist, kann er wenigstens keine alten Damen abzocken, die mit ihrem Computer überfordert sind. Mal schauen, wie lange er sich hinhalten lässt. Ich schalte in den Dusselmodus.
Ich bin gerade im Wohnzimmer und muss erst runter ins Büro um meinen Computer einzuschalten. Könnten Sie solange in der Leitung bleiben?
Mit freudiger Stimme, die vermuten lässt, dass er gerade einen Ständer bekommen hat, teilt Arschloch A mir mit, dass er volles Verständnis dafür hat, dass ich nicht 24⁄7 vorm Rechner hocke und er natürlich gerne wartet bis die Maschiene hochgefahren ist. Klar, ich mime für ihn ja auch immerhin den Volldepp und höre mich dabei nach dem Hauptgewinn des Tages an. Der Weg ins Büro führt mich selbstverständlich auf direktem Umweg in die Küche zum Kühlschrank. Eigentlich hätte ich ja jetzt Bock auf Curryhühnchen, aber dafür müsste ich erst noch Einkaufen gehen…
Gefühlte fünf Minuten später greife ich wieder zum Hörer. Arschloch A ist wieder erwarten immer noch dran, was mich zu zwei wichtigen Erkenntnissen bringt:
- Das Deutschlandgeschäft kann nicht gut laufen, wenn er bereit ist so viel Zeit zu investieren.
- Ich muss dringend mal eine Warteschleifenmusik in der Telefonanlage installieren. “Money, Money, Money” von ABBA vielleicht?
Nun gut, ich wollte heute eigentlich den split apk installer in Raccoon überarbeiten, aber das muss jetzt wohl warten. Immerhin habe ich ja einen Virus auf dem Rechner, der schleunigst gelöscht werden muss und einen Computer Inder in der Leitung, der mir zeigen kann, wie das geht. Wir fangen mit der Tastenkombination WIN + R an. Er hat mich genau da wo er mich haben will. Ich befolge arglos seine Anweisungen. Mein PC ist allerdings weniger kooperativ. Mit Windows shortcuts kann er nichts anfangen und dementsprechend öffnet sich halt auch nicht der heiß ersehnte “Ausführen” Dialog. Arschloch A ist mit seiner Weisheit am Ende. Die Tatsache, dass bei mir die Uhr da ist, wo er den Button für das Start Menu erwartet (und wir dementsprechend auch nicht über das Menu zur Kommandozeile kommen) verwirrt ihn total.
Vielleicht ist ja der Virus daran Schuld?
Schachmatt, Trottel. Du weißt ganz genau, dass es nie einen Virus gegeben hat. Jetzt winde dich!
Arschloch A windet sich nicht groß, er gibt das Gespräch einfach an seinen “Senior” weiter. Netter Schachzug. Von einem Satz auf den Anderen spreche ich plötzlich mit Arschloch B (keine Warteschleife, direktes hand-over). Die Sprachqualität der Leitung ist plötzlich um Welten besser und das Hintergrundraunen der anderen “Support” Mitarbeiter fehlt jetzt völlig. Darüber hinaus spricht Arschloch B halbwegs verständliches Englisch. Erkenntnisgewinn:
- Wir haben hier ein System das in mehrere Ebenen unterteilt ist.
- Auf unterster Ebene probiert ein Computer Telefonnummern durch und leitet das Gespräch erst dann an einen Agenten weiter, wenn er einen Menschen an der Strippe hat.
- Auf der zweiten Ebene arbeitet Arschloch A. Er ist eng mit anderen in einem Raum zusammengepfercht und nutzt billiges VoIP mit niedriger Bandbreite. Sein Job ist zu entscheiden, ob der Angerufene ein vielversprechendes Ziel ist. Wer, wie ich, bereitwillig Anweisungen befolgt wird in die nächst höhere Ebene weiter gereicht.
- Auf Ebene drei wartet dann Arschloch B mit etwas besserer Ausrüstung und Ausbildung. Man kann sich natürlich darüber wundern, warum dieses Callcenter erstmal “Kunden” auf Ebene zwei vergrault, aber das ist letztendlich Teil des Ausleseprozesses. Ebene drei Mitarbeiter sind bereits zu teuer. Hier darf es keine Absprünge mehr geben.
- Die Callcenter Agenten haben nur geringen technischen Sachverstand. Sie arbeiten stupide ein Drehbuch ab.
- Das ganze System ist durch und durch industrialisiert. Das sind keine kleinen Betrüger, sondern organisierte Kriminelle. Mit diesen Leuten ist Vorsicht geboten.
Arschloch B fängt da an, wo sein Kollege aufgehört hat: wieder soll ich ich mittels WIN + R eine Kommandozeile öffnen und wieder funktioniert das nicht. Auch er kann wenig damit anfangen, dass bestimmte Desktopelemente bei mir nicht an der erwarteten Stelle sind. Laut Drehbuch spricht er mit Computerlaien (nur bei denen hat die Masche Aussicht auf Erfolg), die nicht verstehen, dass beide Tasten gleichzeitig gedrückt werden müssen. Eine ernsthafte Fehlerdiagnose ist also weder sinnvoll noch vorgesehen. Nur, einfach vom Haken lassen kann er mich jetzt nicht mehr. Dazu hat das Callcenter bereits zu viel in diesen Anruf investiert. Also werde ich angewiesen direkt einen Webbrowser zu starten um Fernwartungssoftware von der TeamViewer website herunterzuladen (wer sich wundert, was der ganze Umstand mit dem “Ausführen” Dialog sollte: Ziel war es den Internet Explorer über die Windowshilfe zu starten, um so zu verschleiern, dass die Anwendung nicht von Microsoft stammt). Klar, lade ich gerne runter, dauert aber halt 10 Minuten, langsame Internetverbindung eben. Zeit die sich wunderbar damit überbrücken lässt, mich zu interviewen, wozu ich meinen Computer so benutze. Email? Klar! Onlinebanking? Natürlich! Onlineshopping? Selbstverständlich! Privat oder Geschäftlich? Beides!
Jackpot!
- Ich spreche Englisch.
- Ich befolge Anweisungen ohne sie zu hinterfragen.
- Ich wäre so richtig am Arsch, wenn man mir Ransomware installiert.
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, heute schon zum zweitem Mal einem Inder zu einer mächtigen Erektion verholfen zu haben. Komishcer Gedanke, ab anders als das sein Hirn gerade nicht richtig durchblutet ist kann ich mir echt nicht erklären, dass er nicht auf die Idee kommt, dass ich keinen Windows Desktop habe. Ich beantworte alle seine Fragen wahrheitsgemäß. Hinweise gibt es reichlich. Schon alleine deshalb weils langsam doch anfängt zu nerven mich dumm zu stellen, ihn für dumm zu verkaufen und ich ihn vor allem endlich mit der Erkenntnis entlassen will, dass der Anruf für ihn sowohl teuer, als auch von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
Nach insgesamt knapp 50 Minuten gibt Arschloch B auf und ich lasse ihn wissen, dass er nie eine Chance hatte. Sein Vokabular kennt eine erstaunliche Bandbreite an Schimpfwörtern und Flüchen. Treffer, versenkt!
Schade eigentlich, dass das A-Team mich kalt erwischt hat. Hätte ich vorher gewusst, dass sie anrufen, hätte ich was vorbereitet: ne virtuelle Maschiene mit TeamViewer auf Linuxdesktop und vielleicht ein paar bumsende Kühe als Hintergrundbild oder so.