July 1, 2021

Kino Öffnungen und Corona

Was kann da schon schief gehen?

Gerade so halb mit bekommen, dass ab heute die Kinos wieder aufmachen. Huch? Ist Corona schon vorbei, dass wir Menschen in geschlossene Räume pferchen können? Mitnichten! Deswegen gibt es stattdessen “Hygienekonzepte”, wie z.B. intelligente Kassensysteme, die dafür Sorgen, dass Familien zusammensitzen können, während zwischen Fremden “zwei Sessel” Sicherheitsabstand frei gelassen werden. In Verbindung mit einem Lüftungskonzept bedeutet das dann sogar, dass im Saal keine Masken mehr getragen müssen, damit der Kinobesitzer die leer zu lassenden Sitzplätze wenigstens über den Verkauf von Cola & Popcorn etwas abfedern kann.

In der Praxis stell ich mir das ungefähr folgendermaßen vor: an der Kasse schlagen die Besucher grüppchenweise auf und verweisen darauf, dass sie im selben KFZ angekommen sind und es dementsprechend keinen Sinn macht, sie im Saal zu trennen. Stimmt soweit sogar, bis auf den Umstand, dass sie halt aus unterschiedlichen Haushalten stammen und nur durch die Kinowerbung dazu animiert wurden, sich überhaupt erst in dasselbe Auto zu quetschen. Vermutlich werden sich auch einige Familien spontan vor der Tür zusammen finden, um doch noch Karten für eine ansonsten ausverkaufte Vorstellung zu bekommen…

Fehler #1 Wo immer wirtschaftliche Interessen verfolgt werden, werden Auflagen formal-juristisch mit dem Ziel erfüllt, den Geschäftsbetrieb möglichst wenig zu behindern (siehe: Luca App). Solange alles regelkonform ist, wird (insbesondere auf Kundenbetreuungsebene) nicht mehr hinterfragt, ob eine Maßnahme dann überhaupt noch im eigentlichem Sinne zielführend ist.

Thorsten Dörnbach - ein Comic Charakter von Ralph Ruthe
Nachdem so ein Grüppchen also erfolgreich die Hygieneregeln unterlaufen hat, noch bevor sie greifen konnten (und hier kann der Kinobetreiber eine Mitschuld nicht abstreiten, da er dies aller Erfahrung zum Trotze billigend in Kauf genommen hat), deckt es sich also mit Popcorn & Cola ein. Dummerweise verhalten sich Menschen in der Gruppe aber nicht viel anders als eine Herde Schafe und zu jeder Schafherde gehört halt auch ein Leithammel. Nennen wir ihn einfach Thorsten. Thorsten ist die Art von Kinobesucher, die gerne lautstark (und mit feuchter Aussprache) das Vorprogramm kommentiert, seine Kumpels mit Popcorn bewirft und während des Films (dank übermäßigen Cola & Popcorn Genusses) mindestens zweimal aufs Klo muss, wobei er grundsätzlich seine Maske am Platz vergisst, während er sich zum Verdruss anderer Gäste an ihnen vorbei schiebt.

Für weibliche Leser: ja, das gibt's wirklich.
Die Toilette ist natürlich das Örtchen im Kino, welches im “Hygienekonzept” die geringste Beachtung gefunden hat: ein enges Kabuff, schlecht gelüftet, zentraler Treffpunkt für das halbe Publikum, bei dem niemand darauf achtet, ob sich die Benutzer auch wirklich die Hände waschen, bevor sie sich die Klinke in die Hand geben oder am Waschbecken Abstand halten. Thorsten gehört dabei zudem zur Klokicker Fraktion und zeichnet sich auch sonst nicht durch einen größeren Hang zur Reinlichkeit aus.

Ein Kino muss Blockbuster zeigen, Blockbuster setzen grundsätzlich auf 3D Technik und damit auf Shutterbrillen. Zu Grippezeiten sind die Dinger eigentlich schon an sich fragwürdig und es wird dadurch nicht besser, dass Thorsten zur Spezies der Bügellutscher gehört. Nicht schlimm, könnte man meinen, denn die Dinger wandern nach jeder Vorstellung sowieso in die Geschirrspülmaschine, nur dummerweise ist die Hand, die die Geschirrspülmaschine einräumt dieselbe, die auch Popcorn & Cola verkauft.

Unbequeme, mathematische Wahrheiten

Die Chance, im Lotto zu gewinnen beträgt 1:140 Millionen - verschwindend gering also und trotzdem gibt es fast jede Woche Hauptgewinner, obwohl nur knapp jeder zehnte Deutsche mitspielt.

Die Kinobranche hat 2019 ca. 120 Millionen Eintrittskarten verkauft.

Die Ausbreitung von COVID-19 folgt einer Expontentialfunktion. Sollte Thorsten also zu den glücklichen Gewinnern einer Corona Infektion gehören, dann macht ihn das nicht zum Teil einer Kette, sondern einer Lawine.

Aber wie lange sollen Kinos denn noch zu bleiben?

Tja, in einem U-Boot käme vermutlich niemand auf die absurde Idee zu fordern, doch endlich mal ein Bullauge aufzumachen, um mal ein bisschen Frischluft herein zu lassen, während man sich auf Tauchfahrt befindet. Würden wir mit derselben Ernsthaftigkeit an Corona herangehen, wäre das Virus schon lange besiegt. Spaß beiseite. Es sind diese ständigen, halbgaren “Öffnungskonzepte” aufgrund von wirtschaftlichem Druck, die Corona immer wieder aufflammen lassen und damit die Pandemie in die Länge ziehen.

Ja, eine Zero Covid Strategie kostet Jobs und vernichtet Existenzen, Pandemie-Jojo zu spielen aber ebenfalls, nur dass dann halt noch langes Siechtum dazu kommt. Langfristig gesehen, wäre es für das Medium “Film” aber sowieso besser, den Anachronismus Kino endlich sterben zu lassen (verdient wäre es jetzt sowieso).

Kino bedeutet, dass ein Regisseur zwei Stunden hat, um eine Geschichte zu erzählen (länger hält eine mit Popcorn & Cola gemästete Blase in der Regel halt nicht durch), was in der Praxis bedeutet, dass entweder durch bis zur Unkenntlichkeit verdichten Stoff gehetzt werden muss (selbst mit einer Trilogie konnte Peter Jackson dem “Herr der Ringe” nicht gerecht werden) oder banale Kurzgeschichten voller Handlungslöcher mittels Specialeffect Feuerwerk auf Kinolänge aufgeblasen werden. Im Grunde genommen ist also nahezu jede Produktion für die große Leinwand Schrott, weil sie auf eine längst veraltete Technologie Rücksicht nimmt.

Gute Unterhaltung findet man heutzutage in Miniserien, aber schon lange nicht mehr im Lichtspielhaus.