September 23, 2020

100 Tage Corona-Warn-App

Kennt ihr das Märchen von des Kaiser's neuen Kleidern? In der modernen Version könnt ihr einfach Kaiser durch Gesundheitsminister, die beiden Schneider durch SAP, sowie Telekom und die Kleider durch Corona-Warn-App austauschen. Die Story bleibt die Gleiche, versprochen!

In den letzten Wochen ist es ja um die Corona-Warn-App ja eher ruhig geworden. Fast so, als hätte man mittlerweile eingesehen, dass das Ding eine Riesengeldverschwendung war. Aber hey, einen mittleren zwei stelligen Millionenbetrag versenkt man halt nicht einfach so, ohne das irgendwann mal irgendwer nachfragt, was man für das Geld eigentlich bekommen hat. Da gehört es halt zur Vorwärtsverteidigung, sich nach nach 100 Tagen selbst über den grünen Klee zu loben, damit einem der Steuerzahler nicht das Fell über die Ohren zieht und man die Kuh noch weiter melken kann.

Lesen wir also spaßeshalber einfach mal zwischen den Zeilen der Talking Points, die uns gerade auf allen Kanälen serviert werden.

Ganz viele haben sich die App heruntergeladen!

Der Zähler steht aktuell bei 18+ Millionen Downloads! Das ist natürlich rekordverdächtig und hört sich nach außerordentlich viel an, weswegen natürlich betont wird, dass diese Maßnahme einen hohen Rückhalt in der Bevölkerung hat und von einem Viertel der Menschen als sinnvoll erachtet wird.

Für mathematisch weniger Fitte: wenn sich 25% für eine Maßnahme aussprechen, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass 75% dagegen sind. Ignorieren wir an dieser Stelle mal, das wir hier von Downloads, nicht tatsächlicher Nutzung sprechen, d.h. maximal jeder Vierte befürwortet die App durch ihre Nutzung.

Fun fact Hier sind mal die aktuellen, rohen Zahlen hinter der der hübschen Balkengrafik auf Google Play:

  "aggregateRating": {
    "type": 2,
    "starRating": 3.0260053,
    "ratingsCount": "79151",
    "oneStarRatings": "28495",
    "twoStarRatings": "7138",
    "threeStarRatings": "6938",
    "fourStarRatings": "6968",
    "fiveStarRatings": "29610",
    "commentCount": "35394",
    "localizedAverage": "3.0"
  }
Zuspruch sieht irgendwie anders aus.

Die Marke von 18 Millionen Downloads in 100 Tagen wäre selbstverständlich ein Riesenerfolg, wenn man darauf spekulieren würde, seine App an Facebook zu verticken. Für den Erfolg der Corona-Warn-App wäre ein kleines Detail wichtig, welches bei aller Protzerei mit absoluten Zahlen immer unter den Tisch zu fallen scheint: Wieviel Prozent der Bevölkerung müssten sich das Teil eigentlich installieren, damit es überhaupt etwas bewirken kann? Auf Nachfrage hört man da verschiedene Zahlen. Bleibt euch überlassen, wem ihr glauben wollt, aber als kleine Orientierungshilfe könnt ihr ja einfach mal die Kontakterfassung als virtuelle Form des Sars-CoV2 Virus modellieren, euch die Installation der App wie eine Impfung vorstellen und dann mal nachfragen, welcher Prozentsatz der Bevölkerung gegen Grippe geimpft werden müsste, um Herdenimmunität zu erreichen. Spoiler: etwas mehr als 25%.

Das die App niemals genug Nutzer finden würde um irgendetwas reißen zu können hätte eigentlich von Anfang an klar sein können.

Der Datenschutz der App ist vorbildlich!

Nö, isser nicht. Die Telekom betreibt die Server und verkauft Mobilfunkverträge. Wenn ihr Telekomkunde seid, dann ist euer Name und eure App Nutzung über eure IP Adresse verknüpft. Darüber dass ihr erstmal Google’s Datenschutzbestimmung akzeptieren müsst, um das Ding überhaupt installieren zu können reden wir erst gar nicht. Aber das mal nur am Rande. Viel wichtiger wäre an dieser Stelle der Hinweis darauf, dass “wir” ja eigentlich nicht eine Programmierübung zum Thema Datenschutz, sondern eine App zum nachvollziehen von Infektionsketten bestellt haben. Funktioniert das überhaupt? Wie wurde das überprüft? Ach? Geht nicht wegen Datenschutz? Na Praktisch! Ein Produkt verkauft, bei dem bereits in den Anforderungen drin stand, dass ein Beweis für die Wirksamkeit nicht erbracht werden kann. Da fällt selbst den Herstellern von homöopathischen Mitteln noch die Kinnlade runter.

Die App wirkt (ist ein voller Erfolg; wichtiger Baustein; …)!

Moment mal, hatten wir nicht gerade eben festgestellt, dass wir aufgrund des vorbildlichen Datenschutzes keine Aussage zu Nutzen und Nutzung machen können? Auf welcher Grundlage fußt denn jetzt diese Aussage bitteschön? Dass wir wissen, dass sich mittlerweile 5000 Nutzer als infiziert gemeldet haben? Also wer euch das als Erfolg verkauft, lügt euch echt dreist ins Gesicht. Der Erfolg der App bemisst sich nicht daran, wie viele Nutzer sich als infiziert melden, sondern daran, wie viele Nutzer gewarnt werden. Er bemisst sich insbesondere daran, ob Nutzer gewarnt werden, die sonst nicht gewarnt werden würden (ihr braucht keine App, um eure Haushaltsmitglieder zu informieren, dass ihr krank seid) und das die Warnung zeitnah eintrifft, was nebenbei selten der Fall sein dürfte, da man selbst erst mal ein positives Testergebnis braucht, um warnen zu können (bis man das hat, ist die Infektionskette u.U. bereits um mehr als zwei Glieder gewachsen, dann kommt man mit der Warnung schon nicht mehr hinterher).

Die 5000 Infektionsmeldungen als Erfolg zu verkaufen fühlt sich jedenfalls irgendwie so an als würde ein Bürgermeister nach einem Elbe Hochwasser die Anschaffung von 5000 überteuerten Eimern rechtfertigen, weil ein Anwohner das Funktionsprinzip demonstriert hat, indem er mit einen Topf voll Wasser aus seinem Keller gekommen ist.

Aber ok, wir können natürlich einfach mal annehmen, dass jeder Infektionsmeldung in der App eine Erfolgsgeschichte ist. Dann dürfen wir im Gegenzug aber auch mutmaßen, dass es Misserfolge gibt:

  • Gesundheitsämter, die am Limit arbeiten, weil ihnen Mittel fehlen, die man lieber in den Aufbau einer parallel arbeiteten Struktur (= Corona-Warn-App) gesteckt hat.
  • Eine Partygeneration die sich wieder zum feiern trifft, weil sie sich mit der Corona-Warn-App schützt.

Nebenbei, die Reproduktionszahl R ist etwa zeitgleich mit Einführung der App wieder über 1 geklettert und hat sich seit dem auch überwiegend dort gehalten. Denkt euch selber euren Teil dazu.