Online Unterricht zu Corona Zeiten
Hilfe, wir kommen mit der Software nicht klar.
Ich les hier gerade so einen Forenthread über Onlineunterricht und das es mit der Softwareunterstützung nicht klappt. Die üblichen Grabenkämpfe. MS Teams wäre ja die ideale Lösung, aber da steht uns nunmal der völlig übertriebene Datenschutz im Weg und die DSGVO geht ja sowas von an der Realität vorbei. Naja ihr Pfeifen. Gesetze gegen Kinderarbeit gingen auch mal an der Realität vorbei, nicht wahr? Der Sinn von Gesetzen besteht halt nicht darin, die Realität zu bestätigen, sondern eben Dinge, die aus dem Ruder gelaufen sind wieder in vernünftige Bahnen zu lenken. Aber das mal nur so am Rande.
Mir drängen sich bei der Diskussion, in meiner grenzenlosen Naivität, jedenfalls eher so ein paar grundsätzliche Fragen auf:
- Warum tun jetzt alle so, als wäre die aktuelle Corona Welle aus heiterem Himmel über uns herein gebrochen? Was genau haben die Schlipsträger in den Kultusministerien eigentlich so in den Sommer- und Herbstferien getrieben? Waren sechs plus zwei Wochen Leerlauf, in denen man schonmal was hätte vorbereiten können, oder? Zumindest mal ein Strategiepapier wäre doch schön gewesen.
- Stellen wir anscheinend gerade fest, dass “digitales Lernen” nach dem Modell “Telefonkonferenz mit Webcam” nicht so wirklich praxistauglich ist. Oh Wunder! Präsenzunterricht für sich funktioniert bei den aktuellen Klassengrößen schon eher mäßig. Wer würde da erwarten, dass das Konzept besser aufgeht, wenn man es um ein Dosentelefon zwischen Schülern und Lehrern erweitert? Womit sich die Frage nach MS Teams eigentlich schon von sich aus erledigt hätte. Videokonferenz mit 20+ Teenagern die alle keinen Bock auf Unterricht haben und ein Lehrer im Panoptikummodus funktioniert halt nicht. Punkt. Ende Gelände. Zurück ans Reißbrett. Da braucht man sich gar nicht über ein Softwarepaket zu unterhalten, dass das unterstützt.
- Erinnert sich eigentlich noch jemand an Telekolleg? 1967 gestartetes Bildungsfernsehen für Erwachsene. Die Idee war damals ihrer Zeit um Meilen voraus, konnte im linearem Fernsehen aber nie zu voller Blüte gelangen. Heute kann ich mir praktisch zu jedem Unterrichtsthema ein Erklärvideo auf Youtube reinziehen. Womit ich natürlich nicht sagen will, dass wir unsere Kinder zu Youtube treiben sollen, aber man könnte sich natürlich schon mal fragen, warum Lehrer darauf bestehen, Jahr für Jahr den immer gleichen Stoff runter zu beten, vor einer Klasse, die aufgrund ihrer eigenen Größe ständig abgelenkt ist und das jetzt auch noch per Videokonferenz imitieren (w/s)ollen. Einen “digitalen” Unterricht würde ich mir so vorstellen, dass am Anfang ein Erklärvideo steht (bei dem man eben auch mal zurückspulen kann!), dass Schüler dann Aufgaben zu diesem Video in Kleingruppen (2-3) bearbeiten und bei Verständnisproblemen einen Lehrer hinzuziehen können (wobei durchaus Lehrer aus Parallelklassen, nach Bedarf, zwischen den Klassen springen können). Diese Art von Videokonferenz kann ad-hoc organisiert werden und kommt ohne aufgeblähtes Gruppen und Berechtigungssystem aus.
- Könnte man in diesem Zusammenhang vielleicht auch mal über die Rolle von Schulbüchern und Schulbuchverlagen nachdenken. Das Thema ist ja nicht ganz ohne Kontroverse und natürlich stellt sich da die Frage, ob es überhaupt noch zeitgemäß ist, unseren Kindern täglich 10kg Papier auf den Rücken zu schnallen, wenn man auch ne ganze Präsenzbibliothek bequem auf dem Tablet haben kann. Sollten sich an der Stelle irgendwem die Begriffe DRM und Copyright aufdrängen: wir reden hier über aus Steuergeldern finanzierte Bildungsmaterialien, die praktisch Auftragsarbeiten sind. Mit welcher Begründung steht sowas bitteschön nicht unter einer Creative Commons Lizenz? Wie gesagt, wir haben hier jetzt die Gelegenheit mal über die Rolle der Schulbuchverlage zu reden und ob nicht eventuell einige Youtuber lieber Erklärvideos mit direkter Bezahlung statt Werbung drehen würden.
Ja, ich freue mich schon auf Zuschriften, warum das so ist wie es ist und nicht anders geht. Flutet ruhig meine Mailbox, aber denkt dran: ich bin ein großer Freund davon, das stützende Stuhlbein in einem Gerümpelhaufen abzusägen, wenn Leute anfangen, lieber Umwege in Kauf zu nehmen, als das Ding aufzuräumen. Für mich bedeutet “Digitalisierung” nicht: drückt den Kidz erstmal Tablets in die Hand und dann schauen wir mal, wie wir darauf unsere alten Prozesse abgebildet bekommen, sondern, lasst uns mal überlegen, welche Teile unser alten Prozesse eigentlich Behelfskrücken sind und durch Technik ersetzt werden können. Als ich damals mein Studium begonnen habe, saßen wir mit 200+ Studenten im Hörsaal. Wers nicht kennt: eine Vorlesung ist ein völlig mittelalterliches Konzept, dessen Sinn einzig und allein darin besteht, Kosten zu sparen, indem der Dozent sein Skript an die Tafel krakelt (Schönschrift ist für Mathematiker i.d.R. ein Fremdwort) und die Stunden dieses abschreiben (zumeist in der Hoffnung, dabei nicht versehentlich einen niederen Dämon zu beschwören - Fehlerfrei sind diese Mitschriften nie). Ist ein Erlebnis, sollte jeder Student einmal gemacht haben, aber ansonsten ist es heute gänzlich durch Erklärvideos ersetzbar.