Ist es Abzocke? Ist es Betrug? Nein! Es ist ein Superschwindel!

Das Android Ökosystem ist doch immer wieder für eine Überraschung gut, wenn es darum geht, das schnelle Geld zu machen.

Mir ist gerade ein App Entwickler namens PLATDI Studio über den Weg gelaufen (verlinke ich jetzt mal nicht, da ich nicht davon ausgehe, dass sie sich lange halten werden). Aktuell haben sie vier Titel auf Google Play:

  • Voice Changer App: Sound Effects, Voice Modifier
  • Voice recorder app : Audio editor - Best recorder
  • Screen recorder: display recorder, smart recorder
  • Image converter: Convert image format easily

Yep, das ist ne ordentliche Menge an Keywords im Titel. Die haben definitiv ihre ASO Hausaufgaben gemacht, und Raccoon zufolge 3750+ fake 5-Sterne Bewertungen für ihre Stimmwandler App gekauft:

  aggregateRating {
    type: 2
    starRating: 4.2130437
    ratingsCount: 5074
    oneStarRatings: 683
    twoStarRatings: 198
    threeStarRatings: 220
    fourStarRatings: 220
    fiveStarRatings: 3750
    commentCount: 2125
  }

Woher weiß ich, dass die Bewertungen gekauft wurden? Ganz einfach, die App ist 2 Wochen alt, alle guten Bewertungen sind nichtssagend generisch (“great!”, “good app”,…), die schlechten Beschweren sich durchweg über genau eine Sache: direkt nach der Installation wird man nach einer Zahlungsmethode gefragt und erst danach beginnt die kostenlose 3 Tage Probezeit. Wer vergisst, rechtzeitig zu kündigen hat danach automatisch ein 215€ pro Jahr Abo an der Backe. Alle vier Apps haben denselben Aufbau, aber nur für die beiden Sprachapps scheint aktuell eine massive Werbekampagne zu laufen, um arglose Nutzer anzulocken.

screenshot: subscription dialog
Die Kosten sind eindeutig nicht versteckt.

An “erst probieren, dann kaufen” ist nichts auszusetzen. Genau genommen ist das sogar eine sehr kundenfreundliche Verkaufstaktik, die insbesondere im Onlinehandel oft zum Einsatz kommt. Zuerst nach einer Kreditkarte zu fragen, um nach der Probezeit automatisch einen Kauf durchzuführen ist sicherlich ein Dark Pattern und moralisch fragwürdig, aber eben nicht illegal.

Der Preis von 215€/Jahr sieht erst mal teuer aus, relativiert sich aber wenn man bedenkt, dass es “nur” 18€/Monat sind und manch einer durchaus bereit ist, wesentlich mehr für rein kosmetische IAPs in Spielen auszugeben. Betrachtet man zusätzlich noch die Entwicklungskosten für Software (nein, eine App schreibt man eben nicht mal so nebenbei am Wochenende — dafür gehen Monate an Vollzeitarbeit drauf), dann kann man hier nicht mal von Abzocke reden, solange die App tut, was versprochen wurde.

Rechtlich gesehen ist PLATDI Studio nichts vorzuwerfen. Es fühlt sich halt nur irgendwie falsch an, aber wo genau ist da der Stein des Anstoßes?

Was die meisten Menschen über Kreditkartenbezahlung nicht wissen.

In eine 215€ Abofalle gelockt zu werden ist etwas was kaum jemand kampflos akzeptiert. Glücklicherweise ist das Kreditkartensystem so hirnlos und unsicher konzipiert (Kenntnis einer Nummer, die sich prinzipbedingt nicht geheim halten lässt ermächtigt zur Abbuchung beliebiger Beträge), dass die Kreditkartenindustrie eine unkomplizierte “Geld-zurück-bei-Missbrauch” Garantie einbauen mussten, um Verbraucher überhaupt von ihrem Produkt überzeugen zu können. Für Händler ist eine solche Rückbuchung allerdings ein Alptraum.

In der Welt der Kreditkartenzahlung trägt der Händler das gesamte Risiko. Wenn ein Karteninhaber eine Rückzahlung veranlasst, wird das Geld nicht nur umgehend zurück gebucht, sondern der Händler muss auch noch eine Strafe zahlen. Der Logik der Kreditkartenunternehmen zufolge hat er einen Schaden verursacht (entgangener Gewinn, Buchungskosten), für den er gerade stehen muss. Es liegt in seiner Verantwortung, sicherzustellen dass…

Credit card imprinter
Imprinter: Die hochstehenden Zahlen auf der Karte werden auf Kohlepapier übertragen, indem der Schlitten darüber gezogen wird. Ein Kopie erhält der Kunde, die andere der Händler.

  • der Kunde erhält wofür er bezahlt hat.
  • er tatsächlich mit dem Karteninhaber ein Geschäft abschließt (nicht mit jemandem, der die Karte gestohlen hat).

Letzteres lässt sich sicherstellen, indem man sich entweder einen Ausweis zeigen lässt, oder zumindest den Kunden bittet, die Rechnung zu unterschreiben und dann die Unterschrift mit der auf der Karte vergleicht. Unnötig zu erwähnen, dass beides im Onlinehandel nicht funktioniert! Kreditkarten hätten für Interneteinkäufe niemals zugelassen werden dürfen!

Eine Rückbuchung kann selbstverständlich vom Händler angefochten werden. Der entsprechende Prozess ist gelinde gesagt unhandlich. Der Papierkram (“Papier” ist hier wörtlich zu nehmen) beinhaltet u.U. das Dokumente per Fax(!) verschickt werden. Verkürzt gesagt ähnelt das Prozedere einem Gerichtsprozess, bei dem die Bank/Kreditkartenunternehmen des Kunden Ankläger, Richter und Henker in einer Person ist. Das Verfahren ist, erwartungsgemäß, nicht auf Fairness ausgelegt:

  • Kreditkartenunternehmen sind stark daran interessiert, ihre Kunden zu schützen.
  • Der Händler ist gekniffen, egal ob er den Prozess gewinnt oder verliert. In beiden Fällen verdient er sich negatives Karma mit dem Kartennetzwerk.

Kreditkartennetze interessiert es nicht, ob Händler einen Disput gewinnen oder verlieren, nur wie oft es zu Streitereien kommt. Wer zu in Streits verwickelt wird gilt als Risikofaktor, muss höhere Gebühren zahlen und wird u.U. sogar ganz ausgeschlossen. Um es ganz deutlich zu sagen: Kreditkartenzahlung kann selbst den ehrlichsten Händler in den Ruin treiben, wenn seine Kunden aus Jux und Dollerei Rückbuchungen veranlassen: Der Händler trägt das volle Risiko!

Aber… welches Spiel spielt PLATDI denn jetzt?

Eigentlich ist es eine brillante Wette. Offensichtlich wird niemand 215€ für eine Spielzeug App bezahlen. Hey, die meisten würden dafür wahrscheinlich keine 2,50€ ausgeben, aber es existiert halt eine verschwindend geringe Chance, dass jemand versehentlich in die Abofalle tappt und das ist genau das, worauf PLATDI Studio spekuliert. Sie spielen einfach ein Spiel mit großen Zahlen: es werden Unsummen für Werbung ausgegeben, um möglichst viele “Opfer” in möglichst kurzer dazu zu bringen, die App zu installieren (215€ ist nicht so sehr Abzocke, als vielmehr was man verlangen muss, um überhaupt profitabel sein zu können). Dabei stehen sie unter Zeitdruck, denn früher oder später ist die App (und das gesamte Entwicklerkonto) mit negativen Bewertungen von wütenden Anwendern verbrannt.

Wenn alles nach Plan läuft, vergessen ein paar hundert Nutzer, das Abo während der Probezeit zu kündigen. Das böse Erwachen kommt dann einige Wochen später mit der monatlichen Kreditkartenabrechnung. Bis dahin ist das Geld längst auf dem Konto von PLATDI Studio und das Unternehmen meldet Insolvenz an. Verärgerte Nutzer, Rückerstattungen und gegebenenfalls Strafgebühren(*) sind somit Google’s Problem. Danach Gründen die Macher hinter PLATDI Studio einfach eine andere Firma, kaufen neue Apps ein und das Spiel beginnt von vorne.

(*) Es gibt einen großen Unterschied zwischen Rückerstattung (Google gibt das Geld freiwillig zurück) und Chargeback (man holt sich das Geld über die Bank zurück). Letzteres ist nicht nur teuer und schädlich für Google, sondern in diesem Fall auch ungerechtfertigt. Google wird darauf in der gleichen Weise wie jeder Onlinehändler reagieren: das entsprechende Nutzerkonto schließen und nie wieder Geschäfte mit dem Inhaber machen.