March 2, 2021

Nein, auch die Luca App wird uns nicht vor Corona retten.

Momentan trendet ja die Kontaktverfolgungsapp der culture4life GmbH. Ich finde, darüber müssen wir reden.

(Haupt-) Ziel der Luca App ist nicht die Pandemiebekämpfung an sich, sondern die Schaffung eines Hygienekonzepts für die Wiederaufnahme des Kulturbetriebes. Wir können uns jetzt lang und breit darüber streiten, ob Kulturschaffende ein berechtigtes Interesse haben und wie systemrelevant die Branche ist, aber nichts davon ändert etwas an einer simplen Tatsache: das Virus freut sich, wenn wir wieder zu Konzerten und Veranstaltungen pilgern, denn sobald wir Kontakte haben, kann es sich auch verbreiten!

Warum Kontaktverfolgungsapps in der Praxis so grandios scheitern Susi Sorglos fährt mit der Bahn zu einem Konzert. Während der Fahrt verspürt sie ein dringendes Bedürfnis. Was sie allerdings nicht weis ist, das kurz vor ihr ein Infizierter die Toilette benutzt hat und die Luft dort noch voller Aerosole hängt (hier versagt jede Kontaktverfolgungsapp, da sich die relevanten Smartphones niemals begegnen). Susi infiziert sich also, besucht, noch symptomfrei, aber bereits ansteckend, das Konzert, wo sie in voller Partystimmung, durch lautes Mitgrölen, fleißig Viren verteilt. Die gute Nachricht an der Stelle lautet, dass Susi zwei Tage später positiv auf COVID-19 getestet wird und ihr Gesundheitsamt, dank App, keine Probleme hat, alle anderen Veranstaltungsteilnehmer ausfindig zu machen. Die schlechte Nachricht lautet, dass einige von ihnen ebenfalls mit dem Zug angereist waren und auf der Heimreise ihrerseits ein dringendes Bedürfnis hatten…

Kontaktverfolgungsapps sind nicht der Heilsbringer, als der sie beworben werden. Mit ihnen schließen wir lediglich, in blindem Technikglauben, einen Kompromiss zwischen voller Sicherheit (keine Kontakte) und vollem Risiko (Kontakte wie vor der Pandemie), in der Hoffnung, dass das Restrisiko dann noch irgendwie beherrschbar ist. In unserer Vorstellung leisten wir damit einen Beitrag zur Seuchenbekämpfung, in der Realität sabotieren wir allerdings unsere anderen Bemühungen und verschleppen die Pandemie noch weiter.

Wann sich Kontaktverfolgung lohnt
Kontaktverfolgung lohnt sich in den grünen Bereichen. Dazwischen hilft eigentlich nur noch Quarantäne.

Kontaktverfolgung ist eine Maßnahme, die man entweder ganz oder gar betreibt. Eine 99%ige Erfolgsquote ist hierbei kein zufriedenstellendes Ergebnis! Der eine Infizierte, der einem durch die Lappen geht ist ansonsten Patient 0 der nächsten Welle und der Tanz beginnt von vorne. Wer 2021 immer noch das hohe Lied der Kontaktverfolgung singt, hat nicht begriffen, dass dies eigentlich ein Instrument ist, um zu verhindern, dass sich ein Ausbruch zu einer Epidemie entwickelt. Aktuell stecken wir mitten in einer Pandemie. Der Zug ist also längst abgefahren.

Welches Schadenspotential hat Luca?

Kontaktverfolgungsapps befeuern grundsätzlich das Problem, welches sie eigentlich lösen wollen. Luca wurde mit dem Ziel entwickelt, den Kulturbetrieb wieder ankurbeln, d.h. hier wird Mitigation für Veranstaltungen betrieben, die Potential haben, zu Superspreaderevents zu werden.

Hinter Luca stehen prominente Fürsprecher und Investoren. Die App selbst muss damit mittelfristig keinen Profit abwerfen und kann gratis angeboten werden. Sie hat damit beste Voraussetzungen, sich als Quasistandard zu etablieren und, ab einer kritischen Masse, Konditionen zu diktieren. Beispiele für andere privatwirtschaftliche Unternehmen, die Quasistandards gesetzt und danach Konditionen zu ihren Gunsten diktiert haben:

  • Microsoft
  • Apple
  • Facebook
  • Youtube

Langfristig besteht die Gefahr, dass die Kulturbranche Luca etabliert und die App dann auch andere Branchen erobert (Restaurant, Friseur, öffentlicher Nahverkehr,…), d.h. dass ihre Verwendung zwar formal freiwillig ist, eine Teilnahme am öffentlichem Leben ohne sie de-facto unmöglich ist. Damit entwickeln wir uns zu einer Gesellschaft, in der es zur Normalität gehört, dass jeder jederzeit Rechenschaft über seinen Aufenthaltsort ablegt. Vorgangengen Sommer haben wir bereits gesehen, dass die Polizei ihre Finger selbst bei Bagatelldelikten nicht von den Kontaktlisten der Gastronomie lassen kann. Mit Luca wird dies (über den Umweg der Amtshilfe durch die Gesundheitsämter) nicht anders aussehen und auf Dauer erodieren wir dadurch unsere Demokratie, wenn Menschen sich beispielsweise nicht mehr trauen, an Demonstrationen teil zu nehmen.